Zanele Muholi - Visueller Aktivismus und Empowerment | Cosima Tiedtke


Weiterführender Text (DE)

Zanele Muholi wurde 1972 als Jüngste*r von acht Kindern in dem damaligen Township Umlazi, einem Stadtteil der an der südafrikanischen Ostküste liegenden Stadt Durban geboren und wuchs dort in der Hochphase der Apartheid auf.  Muholis Vater stammte aus Malawi, Zanele Muholis Mutter war Zulu. 
Unterstützt durch den Fotografen David Goldblatt schloss Zanele Muholi 2003 ein Studium der Fotografie für Fortgeschrittene am Market Photo Workshop in Newton, Johannesburg ab. Daraufhin absolvierte Muholi 2009 einen Master of Fine Arts an der Ryerson University in Toronto mit der kulturwissenschaftlich ausgerichteten Arbeit “Visual history of black lesbian identity and politics in post-apartheid South Africa”. 

Heute ist Zanele Muholi eine*r international anerkannte*r, vielfach ausgezeichnete*r Künstler*in und seit 2013 Honorarprofessor*in an der Hochschule für Künste in Bremen. In Johannesburg lebend und arbeitend befasst sich Muholi mit der Geschichte und den Nachwirkungen des Kolonialismus sowie der Apartheid in Südafrika. Insbesondere beschäftigt Zanele Muholi der Alltag von schwarzen LGBTQIA+ Personen. Thematisiert werden Stigmatisierungen und Risiken, während das Ziel der Erstellung eines visuellen Archives sowie des Empowerments der schwarzen LGBTQIA+ Community mit Muholis Arbeiten verfolgt wird.   

Sich selbst versteht Zanele Muholi als visuelle*r Aktivist*in. 
2001 begründete Muholi in Johannesburg gemeinsam mit schwarzen lesbischen Aktivistinnen das Forum for Empowerment of Women (FEW), um das in der neuen demokratischen Verfassung von 1996 verankerte Verbot der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung einzufordern. Obwohl Südafrika als erster Staat der Welt die Diskriminierung beruhend auf der sexuellen Ausrichtung verfassungsrechtlich verboten hatte und Ende 2006 als fünftes Land der Welt die gleichgeschlechtliche Ehe legalisierte, werden nicht-heterosexuelle und/oder nicht-cisgeschlechtliche Menschen immer noch Opfer von Diskriminierungen und Hassverbrechen, die von sogenannten `korrigierenden Vergewaltigungen` bis hin zum Mord reichen.

Zanele Muholi setzt die Porträtfotografie als Mittel der Sichtbarmachung der LGBTQIA+ Community in Südafrika und anderen Teilen des Kontinentes ein. 
Mit demselben Ziel meldete Muholi 2009 die Organisation und Bildungsplattform Inkanyiso (Licht auf isiZulu) als Reaktion auf die fehlende visuelle Geschichte der schwarzen LGBTQIA+ Gemeinschaft an.
Ein wichtiger Aspekt Muholis visueller, aktivistischer Arbeit, ist die Fotografie von schwarzen LGBTQIA+ Personen an öffentlichen, symbolisch aufgeladenen Orten, wie beispielsweise Stränden, die während der Apartheid segregiert waren. 
Die größte Bekanntheit haben jedoch Zanele Muholis kontrastreiche schwarz-weiß Porträtfotografien erlangt. Die Serie Faces and Phases (seit 2006) dokumentiert und archiviert die risikoreiche Lebensrealität schwarzer Lesben, transgender und gender non-confirming Personen in einer homo- und transfeindlichen Gesellschaft mittels emotional aufgeladener Porträts begleitet von Texten basierend auf Interviews in einem 2014 veröffentlichten, gleichnamigen Buch. Die fotografierten Personen, die sich häufig selbst aktivistisch engagieren, werden dazu eingeladen, sich aktiv an dem Projekt zu beteiligen, sodass eine lange Zusammenarbeit entsteht, die die persönliche Entwicklung, die `Phases`, der Porträtierten über mehrere Jahre aufzeigt. Obwohl hier häufig Gewalt und Hassverbrechen an LGBTQIA+ Personen thematisiert werden, schafft es Zanele diese Personen nicht in einer Opferrolle zu präsentieren. Indem die Menschen selbstbewusst in die Kamera blicken, wird demonstriert, dass sie entschlossen ihre eigenen Entscheidungen treffen und eine eigene, starke Stimme haben.

Auch in der Reihe Brave Beauties (seit 2014), die angelehnt an Titelseiten von Modemagazinen insbesondere transgender, gender non-conforming und nicht-binäre Personen zelebriert, entscheiden die Teilnehmenden den Ort, die Kleidung und die Pose gemeinsam. Es wird darauf abgezielt Stereotypen zu hinterfragen, indem Schönheiten außerhalb der weißen, heteronormativen, kulturellen Hegemonien ausgedrückt werden, um insbesondere die Porträtierten zu bestärken. 
Während Zanele Muholi sich mit den genannten Fotoserien zum Ziel gesetzt hat ein lebendiges, visuelles Archiv zu schaffen, dass die schwarze LGBTQIA+ Community repräsentiert, werden für die Serie Somnyama Ngonyama (Gegrüßt sei die dunkle Löwin in isiZulu) (seit 2012) ausschließlich Selbstporträts angefertigt. 
Muholi erarbeitet verschiedene Geschichten und Rollen, um aufzuklären und eine Verarbeitung der traumatischen Historie zu ermöglichen. Gespielt wird mit verschiedenen Objekten und Frisuren, die mit spezifischen Bedeutungen aufgeladen sind, um den Kolonialismus, die Apartheid und den aktuellen Rassismus sowie damit einhergehende Gewalttaten zu reflektieren. Zum Beispiel nutzt Muholi Haushaltsgegenstände zur Thematisierung der häuslichen Leibeigenschaft,  Kaurimuscheln finden ihren Einsatz in der klischeebehafteten, exotisierenden Darstellungen afrikanischer Menschen und die Verwendung von Kunststoffen verweist auf drängende Umweltprobleme. 
In der Nachbearbeitung verstärkt Muholi den Kontrast der Hautfarbe, um die `Blackness` emphatisch in den Vordergrund zu rücken und damit Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und hegemoniale Ideale zu hinterfragen. Des Weiteren wird Kritik an der Apartheid und dem Kolonialismus durch die Werktitel, die in Muholis Muttersprache isiZulu gewählt sind, ausgeübt. 
Stolz auf die eigene Sprache und Identität richtet Zanele Muholi den Blick standhaft in die Kamera, den Betrachtenden entgegen.



Related Text (EN)

Zanele Muholi was born in 1972 as the youngest of eight children in Umlazi, a district of the city Durban on South Africa's east coast. Muholi's father was from Malawi, and their mother was Zulu. Growing up in a township, Zanele Muholi experienced apartheid at its height.   
Supported by photographer David Goldblatt, Zanele Muholi completed an Advanced Photography degree at the Market Photo Workshop in Newton, Johannesburg in 2003. Then they completed a Master of Fine Arts degree at Ryerson University in Toronto in 2009 with a thesis entitled "Visual history of black lesbian identity and politics in post-apartheid South Africa," which focused on cultural studies. 


Today Zanele Muholi is an internationally recognized, award-winning artist and since 2013 honorary professor at the Hochschule für Künste in Bremen. Living and working in Johannesburg, Muholi is concerned with the history and aftermath of colonialism and apartheid in South Africa. In particular, Zanele is ailed with the everyday life of black LGBTQIA+ people. Their work addresses stigmatizations and risks, while empowering the black LGBTQIA+ community and creating a visual archive. 

Zanele Muholi sees theirself as a visual activist. 
In 2001, they co-founded the Forum for Empowerment of Women (FEW) in Johannesburg with black lesbian activists to demand the ban on discrimination based on sexual orientation enshrined in the new democratic constitution of 1996. 
Although South Africa was the first country in the world to constitutionally ban discrimination based on sexual orientation and became the fifth country in the world to legalize same-sex marriage in late 2006, non-heterosexual and/or non-cisgender people continue to be victims of discrimination and hate crimes ranging from so-called `corrective rape' to murder.

Zanele Muholi uses portrait photography to achieve visibility of the LGBTQIA+ community in South Africa and other parts of the continent. 
With the same goal, Muholi registered the organization and educational platform Inkanyiso (isiZulu for Light) in 2009 in response to the lack of a visual history of the black LGBTQIA+ community.
An important aspect of Muholi's visual activism is the photography of black LGBTQIA+ people in public, symbolically charged places, such as beaches that were segregated during apartheid.
However, Zanele Muholi's high-contrast black and white portrait photographs have gained the most notoriety. The Faces and Phases series (2006-2014) documents and archives the risky realities of life for black lesbians, transgender and gender non-confirming individuals in a homophobic and transphobic society through emotional portraits. In 2014 Muholi published a book of the same name which includes texts based on interviews next to the portraits of the participants. Often the photographed people are activists themselves. They are invited to actively participate in the project, which leads to a long collaboration that reveals the personal development, the `phases,' of those portrayed over several years. Although violence and hate crimes against LGBTQIA+ people are often addressed in this series, Zanele Muholi manages not to present these individuals as victims. Looking confidently into the camera, the people demonstrate that they make their own decisions resolutely and have their own strong voice.

Also in the series Brave Beauties (since 2014), the participants decide the location, the clothing, and the pose together. Inspired by the covers of fashion magazines, Brave Beauties celebrates the beauty of transgender, gender non-conforming, and non-binary people in particular. The aim is to challenge stereotypes by expressing beauties outside of white, heteronormative, cultural hegemonies, especially to empower those portrayed.
While Zanele Muholi's goal with the aforementioned photo series is to create a visual, living archive that represents the Black LGBTQIA+ community, the series Somnyama Ngonyama (isiZulu for Hail the dark lioness) (since 2012), only includes self-portraits.
Muholi elaborates different stories and roles to enlighten and allow processing of the traumatic history. They play with various objects and hairstyles charged with specific meanings to reflect colonialism, apartheid, current racism and related violence. For example, Muholi uses household objects to thematize domestic servitude, cowrie shells find their use in the stereotypical, exoticizing depictions of African people and the use of plastics refers to environmental issues. 
In post-production, Muholi intensifies the contrast of skin color to emphasize their `blackness` which questions xenophobia, racism, and hegemonic ideals. Furthermore, the titles of the works in isiZulu, Muholi's first language, criticize colonialism and apartheid.
Proud of their own language and identity, Zanele Muholi holds their gaze forcefully towards the camera, directed at the viewer.





Literatur:

Ginwala, Natasha (2021): Das Bild als Quelle des Mutes: Der visuelle Aktivismus von Zanele Muholi.

In: berlinerfestspiele.de. https://www.berlinerfestspiele.de/de/gropiusbau/programm/2021/zanele-muholi/bild-als-quelle-des-mutes.html


Gqola, Pumla Dineo (2020): Zanele Muholi Walks In With the Ancestors. In: New York Times. https://www.nytimes.com/2020/12/02/arts/zanele-muholi-tate-modern.html


Makhubu, Nomusa (2021): Performing Blackface: Reflections on Zanele Muholi’s Somnyama Ngonyama. In: Oncurating. Issue 49. Decolonial Propositions. https://www.on-curating.org/issue-49-reader/performing-blackface-reflections-on-zanele-muholis-somnyama-ngonyama.html#.ZHX-8r3P23A


Marsh, Gervais (o.J.): Gradients of Detail. Reflections on Zanele Muholi’s Somnyama Ngonyama (Hail the dark Lioness). In: gervaismarsh.com. https://www.gervaismarsh.com/work/zanele-muholi-gradients-of-detail-pzyfj


Schuhmann, Antje (2015): Shooting violence and trauma: Traversing visual and social topographies in Zanele Muholi’s work. S. 55-80. In: Mistry, Jyoti u. Schuhmann, Antje (2015): Gaze Regimes: Film and feminisms in Africa. Wits University Press (Hrsg.). Johannesburg.


Tate Gallery of  Modern Art (2020): Exhibition Guide. Zanele Muholi. In: tate.org. https://www.tate.org.uk/whats-on/tate-modern/zanele-muholi/zanele-muholi





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